Tag 6: Nostalgie, Stranger Things und Transmedialität

Am Sonntag, den 25.10.2020 nahm Dr. Christian Schmidt uns in den Stuttgarter Innenstadtkinos mit auf eine unheimliche Reise innerhalb und außerhalb medialer Grenzen. In seinem Vortrag ging es in erster Linie um die verschiedenen medialen Verweise, die die Serie Stranger Things nutzt, um Nostalgie bei den Zuschauern zu erzeugen (Achtung! Der folgende Text kann Spoiler für die Staffeln 1-3 der Serie enthalten.)

Der Medienwissenschaftler passte vor allem deshalb so gut zum Dragon Days Festival, da sich ein Kernwert des Festivals mit einem großen Forschungsgebiet von Christian Schmidt deckt – die Transmedialität beziehungsweise das medienübergreifende Erzählen. Diese transmedialen Welten sind nicht einzelne Bücher oder Filme, sondern zum Beispiel Franchises, die sich einer Vielzahl von Medientypen bedienen. Zu den bekanntesten Beispielen gehören Star Wars, Harry Potter, Herr der Ringe, aber auch Stranger Things. Denn neben der Serie gibt es viele Tie-In beziehungsweise Spinn-Off Romane, Computerspiele und noch vieles mehr. Doch der Fokus der Forschung des Medienwissenschaftlers liegt aber viel mehr auf den verschiedenen Medientypen und -verweisen, die in der Serie genutzt werden.

Um einige dieser Verweise aufzugreifen, mussten die Zuschauer erst einmal einige Geräusche erraten, die kurz abgespielt wurde. Ganz ohne Zusammenhang war das gar nicht so einfach, doch nach der Auflösung wurde klare – diese Geräusche sind jedem aus der Kindheit bekannt! Als Erstes wurde das Geräusch abgespielt, das entsteht, wenn man mit der Hand durch eine Legokiste fährt. Danach folgte das sogenannte White Noise, das Rauschen eines Fernsehrs beim Wechseln der Kanäle. Als Letztes wurde der Beginn des Liedes “Never ending story” von Limahl angespielt. Das Lied kommt in einer der Schlüsselszenen der dritten Staffel vor, als Dustin eine Planck Konstante benötigt, seine Freundin verlangt dafür, dass sie zusammen dieses Lied performan. Die Szene ist typisch für die Serie. Es wird eine große Schatzkiste an Referenzen geöffnet, die Musik wird gerade zu prototypisch eingebunden. Darin zeigt sich ganz deutlich die Liebe zum Amerika der 80er Jahre, die sich in zahlreichen Referenzen und Easter Eggs wiederspiegelt. Diese kann der Zuschauer erkennen und sich an ihnen erfreuen. Dieses Phänomen wird in den Kulturwissenschaften als intertextuelle Referenzen bezeichnet. Der Zuschauer sieht etwas und denkt “Oh cool, das hab ich erkannt!”. Dadurch werden dem Medium noch mehr Ebenen verliehen und die Komplexität und der Reiz der Serie gesteigert.

Schon im Pitch Deck, also im illustrierten Expose der Serie, wird die Geschichte als “a love letter to the golden age of Steven Spielberg and Stephen King – a marriage of human drama and supernatural fear” beschrieben. Parallelen zu den Werken von Stephen King finden sich zum Beispiel im AV-Club, der dem Loser Club aus ES gleicht, während das Ganze eine abenteuerliche Geschichte mit fantastischen Elementen darstellt, wie in die Goonies von Steven Spielberg.

Christian zitierte außerdem Stephen King, der in einem Interview beschrieben hat, dass Kinder eine größere Bandbreite haben, wenn es um ihre Wahrnehmung geht und die Fähigkeit und den Glauben Dinge zu akzeptieren. Diese Dinge stellen in Stephen Kings Roman ES dar. In Stranger Things dagegen ist das Fremde die Parallelwelt „The Upside Down“ und die Demogorgons. So seien Geschichten also eine Brücke für die Erwachsenen zurück zu ihrer Kindheit.

Die Nostalgie wird sowohl im Film ES als auch in der Serie Stranger Things als Mittel benutzt, um eine Geschichte der Kindheit der Hauptcharaktere zu erzählen, in die der Zuschauer sich durch schlau eingesetzte materielle Gegenstände aus der eigenen Kindheit hineinversetzten kann. Das White Noise zum Beispiel ist an mehreren Stellen in der Serie zu hören: Immer wenn Eleven mit ihrer telekinetischen Fähigkeit den Fernsehsender umstellt, wenn die Kinder über Funkgeräte miteinander kommunizieren oder Mixtapes untereinander austauschen. Auch für Charaktere in der Serie wie zum Beispiel die Brüder Will und Jonathan hat eines dieser nostalgischen Elemente, in diesem Fall die Musik der Band Clash, eine besondere Bedeutung. Sie stellt eine gemeinsame Interesse und eine Ablenkung vom Streit der geschiedenen Eltern dar. Ein anderes Beispiel, wie medialen Gegenstände unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen werden kann, ist der Film Gurdians of the Galaxy aus dem Marvel-Franchise. Hier ist ein wichtiger Gegenstand für den Protagonisten ein altes Mixtap seiner verstorbenen Mutter, das gleichzeitig den Soundtrack zum Film darstellt und es auch in unsere Welt geschafft hat und als Merchandise zu kaufen ist. Auch wenn wahrscheinlich nur noch wenige Menschen überhaupt eine Kassette zu Hause abspielen können. Aber mit vielen Medientypen verbinden wir unzählige Erinnerungen wie den Ort, wo wir unseren Lieblingsfilm zum ersten Mal gesehen haben, die Autofahrt in den Urlaub, während wir einen Song zum ersten Mal gehört haben und so weiter. Das trägt natürlich zu einem verstärkten Nostalgiegefühl bei. Doch der Song „Should I Stay or Should I Go“ von the Clash, der in der Serie Stranger Things Nostalgie und eine brüderliche Bindung darstellt, wird ebenso für das genaue Gegenteil eingesetzt – den Schrecken!

Christian beschrieb, dass auch schon Freud sich mit diesem Phänomen beschäftigt hat. Denn dieser schrieb schon 1919, dass das Unheimliche nichts Fremdes, sondern etwas von alters her Vertrautes sei. Etwas, das wir seit unserer Kindheit kennen, das dann irgendwann von uns verdrängt wurde. Heißt das also, dass die Medien, die Stranger Things so geschickt einzusetzen weiß, im Zuschauer Erinnerungen wecken, die dieser durch die rosarote Brille der Nostalgie bereits verdrängt hatte? Trägt dies wiederum zur Verstärkung des Schreckens bei und weckt quasi alte Geister, die uns heimsuchen? Darauf konnte auch Christian keine klare Antwort geben, aber er sah hier ein großes Potenzial und Anknüpfungspunkte für die Nostalgieforschung. Denn diese Art von kritischer Auseinandersetzung mit unseren verklärten Vorstellungen der Vergangenheit sind gewiss kein Alleinstellungsmerkmal der Serie. Solche Phänomene können beispielsweise auch in dem Film Iron Giant beobachtet werden. In Stranger Things geschieht das Aufgreifen vieler Element aus der Vergangenheit allerdings auf eine sehr viel „unkritischere“ Art. Themen wie Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Konsum werden zwar am Rande thematisiert, aber nie kritisch beleuchtet. Deshalb stellte sich für den Medienwissenschaftler die Frage, ob die Nostalgie nicht vielleicht eine Art „wärmende Decke“ darstellt, die uns hilft, die Vergangenheit zu zelebrieren und den Problemen der heutigen Zeit zu entkommen. Aber vielleicht sind Serien wie Stranger Things, oder einer der vielen transmedialen Adaptionen von Legobauset bis zum Comic, auch einfach ein gutes Mittel um uns auf eine spielerische, nostalgische Weise an das Vergangene zu erinnern.