ZKM Karlsruhe zum Thema Sicherheit oder Datenschutz – ein Resümee

Am 16.12.2016 fanden sich im ZKM in Karlsruhe über 120 Menschen ein, um über das Thema Datenschutz zu sprechen. Ernst Oliver Wilhelm, Mitglied des Präsidiumsarbeitskreises für Datenschutz und IT-Sicherheit der Gesellschaft für Informatik, ging der Frage „Sicherheit oder Datenschutz: Ein falscher Gegensatz?“ nach, um die wichtige und brisante Debatte um Datenschutz und Massenüberwachung, internationale Sicherheit und individueller Freiheit auch in Deutschland in breitere Schichten der Öffentlichkeit zu tragen. Nach den Enthüllungen von Edward Snowden, die das unfassbare Ausmaß der bestehenden Massenüberwachung bekannt gemacht haben, sind die Bestrebungen von Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten ungebremst, die anlasslose Massenüberwachung weiter auszubauen und sich hierzu jede Innovation wie z.B. das Internet of Things dienstbar zu machen. Trotzdem wird der Datenschutz oftmals als unnötiger Ballast oder gar als Behinderung der Nachrichtendienste dargestellt, die deren effektive Tätigkeit unmöglich macht. Dabei geht es im Datenschutz um die Wahrung von Bürger- und Menschenrechten, deren Verteidigung doch eigentlich die zentrale Aufgabe der Nachrichtendienste ist. Wie gehen sie mit diesem Zielkonflikt um? Müssen wir uns zwischen Sicherheit auf der einen und Datenschutz auf der anderen Seite entscheiden?

 

Die Veranstaltung stieß trotz Vorweihnachtshektik und Freitagstermin auf überwältigende Resonanz. Der Aufhänger für die Beschäftigung war aber auch gut gewählt: Im Beisein des Regisseurs Friedrich Moser wurde der Dokumentarfilm „A Good American“ gezeigt, den wir an anderer Stelle schon empfohlen haben. „A Good American“ erzählt die Geschichte der Massenüberwachung der NSA von Zeiten des Kalten Kriegs bis nach 9/11 aus der Sicht von William Binney, der über drei Jahrzehnte hinweg Analyst der National Security Agency (NSA) und zuletzt als Technischer Direktor und Chefentwickler eines Datenanalyse-Programm namens „ThinThread“ tätig war. Die im Film zu Tage tretende Inkompetenz der Geheimdienstbehörde und Ignoranz der Regierung gegenüber der Geldgier und Machtmissbrauch machte das Publikum sichtlich betroffen. Prof. Dirk Heckmann von der Uni Passau und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) spürte dieser Betroffenheit in seinem Impulsvortrag „Datenschutzkonforme Überwachung?“ nach. Eine Überwachung unter Achtung von demokratischen Prinzipien, der Menschenwürde und des Datenschutzes wäre eigentlich grundsätzlich möglich: Dafür müssten allerdings die Überwachten gebildet und informiert sein und sich darauf verlassen können, dass es eine unabhängige Instanz gibt, die die Grenzen der Überwachung effektiv kontrolliert.

 

Prof. Heckmann durfte nach seinem Vortrag gleich für die anschließende Paneldiskussion auf der Bühne bleiben. Als weitere Gäste wurden Regisseur Friedrich Moser, Prof. Bernhard Esslinger von der Uni Siegen, Leiter des CrypTool Projekts, sowie Prof. Peter Weibel, Kunst- und Medientheoretiker und Vorstand und Kurator des ZKMs dazu geholt. Unter der Moderation von Ernst O. Wilhelm diskutierte das Panel die folgenden Fragen: Wie können Geheimdienste bei der Erfüllung ihrer Aufgaben wirksam überwacht werden? Wieso haben die Enthüllungen von Edward Snowden nicht zu Massenprotesten geführt? Hat die Digitalisierung Einfluss auf unser Verhältnis zu Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und Privatsphäre? Einig waren die Panelteilnehmer noch bei Ihren Antworten auf die erste Frage, denn um Überwachung zu kontrollieren, ist eine Neuverteilung der Macht unbedingt nötig, die sich bisher extrem auf die Innenministerien, also auf die Organe der Exekutive, konzentriert. Besonders spannend wurde die Frage nach dem Ausbleiben von massenhaften Protesten nach Snowdens Enthüllungen diskutiert. Medientheoretiker Weibel argumentierte, dass es keine Entrüstung geben könne, weil 1.) die Menschen freiwillig Informationen von sich preisgeben, durch posts, clicks oder Onlinekonsumverhalten, und 2.) die Konsumenten von Massenmedien in einen Dauererregungszustand geschaukelt werden, der im Endeffekt in Betäubung ausartet.

 

Um die rauchende (und twitternden! Trending Topic in Deutschland!) Köpfe des Publikums etwas abzukühlen folgte der ‚World Coffee Break‘, eine Kaffeepause in der das Publikum aktiv zum Gedankenaustausch animiert wurde. Über mehrere Tische verteilt wurden unter der Leitung von Dr. Düpmeier von der GI/ACM-Regionalgruppe Karlsruhe Diskussionsthemen organisiert. So war Regisseur Moser beispielsweise an einem Tisch bereit, sämtliche Fragen zu seinem Film zu beantworten, und auch die Dragon Days erzählten an Tisch 5 „Datenschutzgeschichten“ – denn die Informationen, die uns vermittelt werden, erreichen uns in Form von Geschichten. Ob Edward Snowden nun ein Verbrecher ist oder ein Held hängt davon ab, wer die Geschichte erzählt. Die Diskussionsteilnehmer erzählten dem Festivalteam durch welche Geschichten sie zum Datenschutzthema kamen, was sie daran fesselte und wie sie diese Informationen weitergeben. Zeitig für den zweiten Impulsvortrag fragte Professor Esslingers Vortrag „Was kann ICH selbst tun?“. Gute Frage! Der Vortrag erklärte, wie man sich aktivistisch für das Thema Datenschutz stark machen kann und gleichzeitig die eigenen Daten sichert. Dafür führte er anhand der Software CrypTool verschiedene Beispiele für Dekodierung vor und bewies, dass auch Laien sich schnell mit diesem Open Source Lerntool ins Thema einarbeiten können.

 

Tobias Wengert, Leiter der Dragon Days, kam danach auf die Bühne und ergänzte die Frage ‚was kann ich selbst tun?‘ um eine kreative Antwort: 2017 werden die Dragon Days den Short Story Wettbewerb ‚DystArt‘ ausrufen. In diesem Wettbewerb sollen Autorinnen und Autoren Kurzgeschichten einreichen, die das Thema Datenschutz unter dystopischen Gesichtspunkten behandeln. Denn Fiktion kann helfen, tatsächliche Fakten zu verstehen, und ein dystopischer Zukunftsentwurf kann dazu beitragen das Hier und Jetzt ändern zu wollen. George Orwells „1984“ hat bewiesen, dass Geschichten Menschen zum Nachdenken anregen, und ein Short Story Wettbewerb wird neben bereits Interessierten auch eine ganz neue Zielgruppe auf das Thema Datenschutz aufmerksam machen. Dem Festival ist es wichtig, dass dieses Thema so viele Menschen wie möglich erreicht.

 

Ein interessanter Abend neigte sich dem Ende zu. Friedrich Moser ergriff noch einmal das Wort und lieferte den Stoff für utopische und dystopische Stories. Denn eigentlich ist demokratische Überwachung gar nicht so unmöglich und mit modernen Programmen, die ThinThread ähnlich sind, könnte man legale, logische und effektive Wege finden. Dieses Konzept für eine „Überwachung 2.0“ stellt eine Kombination von verschiedenen Elementen dar, mit der Überwachung auf das absolut notwendige unter Einsatz verhältnismäßiger Mittel zurückgeschnitten und durch strenge Gewaltenteilung und unabhängige Kontrolle auf rechtsstaatliche Prinzipien zurückgeführt wird. Die britische NGO Liberty arbeitet daran. Es hängt vom Interesse der Politik ab, die Justiz zu stärken und die Wirtschaft einzuzäumen, und das Interesse der Politik wird von der Bevölkerung gelenkt. Mit dem kommenden Internet of Things könnten die dystopischsten Vorstellungen der Dragon Days Autoren in spé wahr werden: wenn es möglich ist, von außerhalb das Auto umzulenken und die Heizung abzudrehen, bleibt nicht mehr viel Autonomie übrig. Dieses Horrorszenario muss unbedingt gestoppt werden, und zwar von den Geheimdiensten der Welt selbst. Diese scheinen aber der Meinung zu sein, wetterte Moser, dazu alleinig in der Lage zu sein, und öffnen damit Hackern und Softwarekriminellen Tür und Tore. Wer also noch nach Ideen sucht um bei DystArt mitzumachen, darf das einmal durchdenken.