Es ist der 20. Oktober 2020 und somit der erste Tag des diesjährigen und 8. Dragon Days Festivals. Mittlerweile ist die Fantastik auch im echten Leben angekommen – zumindest ein Stück weit. Wir hatten uns mit einigen Besucherinnen und Besuchern, natürlich alle mit Maske, im Max-Bense-Forum versammelt. Es konnte auch nur ein Teil unserer Gäste auf der Bühne anwesend sein, denn Tad Williams musste, aufgrund der Reisebeschränkungen, live aus Amerika hin zugeschaltet werden.
Den Start machten an diesem Abend Felix Mertikat und Maxine Metzger von King Racoon Games. Diese gaben dem Publikum erst ein Mal einen Einblick in ihre Arbeit in der Spielschmiede King Racoon Games. Seit ihrer Gründung vor 5 Jahren wird das „Games“ im Firmenname bei ihnen nicht mehr ganz so groß geschrieben. Natürlich können wir uns weiterhin auf
fantastische Spiele freuen. Diese werden jedoch weit über ein normales Brettspiel hinausgehen.
Dieser Ansatz war auch schon bei dem erfolgreichen Brettspiel Tsukuyumi zu erkennen. Mertikat erklärte, dass Tsukuyumi an die Phase direkt nach dem Kauf anknüpft. Üblicherweise hält man das Spiel in den Händen, ist voller Begeisterung… muss aber erst noch auf die Spielgefährten und Spielgefährtinnen warten,bis es los gehen kann. Doch nicht so bei Tsukuyumi! Das mitgelieferte Begleitbuch erlaubt es, schon vor dem Spielbeginn in die Welt der japanischen Mythologie und einer post-apokalyptischen Welt, in der der Mond auf die Erde gestürzt ist, einzutauchen. Fans von Tsukuyumi, oder die, die es noch werden wollen können gespannt sein auf das zugehörige Rollenspiel, das bald erscheinen wird. Aber das ist noch nicht alles was Felix Mertikat, Maxine Metzger und ihre Kollegen für das kommende Jahr geplant haben. Neben einem neuen Kickstarterprojekt EOS entführen sie uns mit dem Spiel MORI in die spirituelle Welt von Völkern, die das Licht anbeten, Waldgeistern und vielen weiteren Spezien, die dieses Mal von Maxine illustriert werden.
Darüber hinaus haben sie mit der Konzeption des „wohl verrücktesten Spieles, das wir je gemacht haben werden“ begonnen. Ein Legacy-Spiel unter dem Titel Mothership Earth, das die Elemente eines Brettspiels, eines Rollenspiels und eines Romans kombiniert und gleichzeitig neu erfindet.
Im Projekt T.D.O – Titan Defence Organization werden die Spieler in die Rollen von Titankämpfern schlüpfen, deren Kämpfe im Reality TV übertragen werden. „Man spielt für die Einschaltquote und ganz nebenbei versucht man noch Titanen umzubringen“, so Metzger. Eins haben die vergangenen und die ausstehenden Projekte bei King Racoon Games auf jeden Fall gemeinsam, sie zeichnen sich durch unglaublich fantastische, vielfältige Storyworlds und eine Menge unterschiedlicher Fraktionen aus. Sie entstehen mit einer Begeisterung und Neugierde, die ansteckend ist!
Dann war es so weit! 11:15 Uhr am Morgen im Tausende Kilometer entfernten Kalifornien. Wir sahen Tad live von zu Hause, auf dem mittlerweile für die meisten üblichen Weg, per Zoom. Für ihn wie auch für die Zuschauer war es etwas seltsam dem Star des Abends nicht vor Ort begegnen zu können. Aber wie Tad sagte, sind wir ja inzwischen alle seltsame Situationen gewöhnt und es hilft ihm zumindest zu wissen, wo er gerade eigentlich hätte sein sollen. Denn die Stuttgarter Stadtbibliothek beziehungsweise die Dragon Days hat Tad Williams in den letzten Jahren schon mehrere Male besucht.
So sehr sich der momentane Arbeitsalltag für Viele von der „Normalität“ unterscheidet, Tad scheint damit sehr gut umzugehen. Für ihn habe sich nicht viel geändert – „I‘m kind of a hermit anyway“, meinte der Autor dazu mit einem Lachen. Aber es seien auf jeden Fall interessante Zeiten, so Tad, keine leichten, aber das sind interessante Zeiten ja selten.
Als erstes beantwortete er uns die Frage, die sich wahrscheinlich schon alle Fans gestellt haben – Ja, die Otherland-Reihe ist „nearly done“. Wenn es um das Beenden einer sich über mehrere Jahre spannenden Saga geht, erklärte Tad, hat man seinen Lesern gegenüber eine gewisse Verantwortung. Natürlich kann man es nie allen Recht machen, doch haben die Leserinnen und Leser nach der jahrelangen Unterstützung ja auch eine Art „closure“ verdient.
Im Anschluss folgte dann eine Lesung aus dem Reich der Grasländer. Während Isabel Schmier Tads Figuren mit ihrer Stimme zum Leben erweckte, zauberte Felix Mertikat live eine Illustration zur Szene. Auch für Tad Williams war die Lesung spannend mit anzuhören. Wie er uns berichtete, findet er es immer wieder faszinierend, sein eigenes Werk in Sprachen zu hören, die er selbst nur wenig versteht.
Nach der Lesung gab es noch Zeit für einige Fragen aus dem Publikum, die Björn Springorum geschickt auf deutsch und englisch entgegengenommen und an Tad übermittelt hat. Der Autor berichtete von der Entstehung seiner „Storyworlds“, den Anfängen seiner Karriere als Rockmusiker und gab den Zuschauern sogar eine kleine Führung durch sein Arbeitszimmer mit Blick in den angrenzenden Garten. Außerdem erfuhren wir, dass Tad die vergangenen Monate genutzt hat, um endlich einmal von der ganzen Technik, die ihm zur Verfügung steht, Gebrauch zu machen und damit begonnen hat alle paar Wochen Lesungen aus seinen Werken online zu stellen. Diese sind auf seiner Facebook-Seite unter https://www.facebook.com/AuthorTadWilliams zu finden.
Auf die Frage, inwiefern seine Charaktere in ihm leben beziehungsweise durch seine Außenwelt inspiriert werden, gestand der Autor, dass er nur sehr selten reale Personen in seinen Werken aufgreift. Viel eher lässt er sich von einzelnen Gesprächen oder Witzen am Esstisch inspirieren. Außerdem erzählte er, dass in jeder seiner Figuren auch ein kleiner Teil von ihm selbst steckt, denn so könne er die Handlungen und Denkweisen der Figuren besser nachvollziehen und dadurch überzeugender und schlüssiger umsetzen. Außerdem warnte Tad davor, dass Charaktere, die auf realen Personen basieren auch immer zu emotionalen Bindungen mit diesen Charakteren führen können und dadurch den Schreibprozess behindern. Denn die Story sollte immer im Mittelpunkt stehen und sobald Emotionen involviert sind, ist es nicht mehr möglich darüber nachzudenken, was für die Story am besten ist.
Danach ging es, wie schon zu Beginn des Abends, um das Storybuilding. Tad Williams beschrieb, dass viele seiner Projekte mit einer sehr kleinen Idee beginnen, die ihm im Alltag begegnet. Sein erster Buch Tailchaser‘s Song zum Beispiel wurde von seinem ersten Zusammenleben mit Katzen inspiriert. Die Serie Dragon Bone Chair dagegen, begann mit dem Gedanke, dass große Könige und Monarchen, sowohl in der Geschichte wie auch in der Fantastik oft vom Chaos verfolgt werden. Mit der Entwicklung dieser Idee für die Geschichte beginnt man dann sich Gedanken darüber zu machen, wer die Geschichte erzählt, welche Figuren vorkommen und durch wessen Augen die Leserinnen und Leser die Geschichte erleben sollen, so Tad. Dadurch bekommen die einzelnen Figuren und ihr Weg durchs Leben auch erst ihre Wichtigkeit in Relation zum eigentlichen Geschehen. Kombiniert man diese Ideen dann mit der eigens geschaffenen Welt, wird die Geschichte, die mit einer kleinen Idee begonnen hat, zunehmend komplexer. Diese Weiterentwicklung von simplen Ideen, vergleicht Tad Williams sehr passend mit der Entstehung des Solarsystems. „It was a big cloud of gas and then a few bits of gas had enough gas that they began to draw in other bits and before you know it has mass and it‘s spinning and it‘s a planet!“ Und genauso funktioniert für Tad Willams auch Storytelling. So begeistert er auch für andere Medienformen ist und so gerne er Umsetzungen seiner Welten und Geschichten in Form von Games oder Hörbüchern sieht – wir können uns auf viele weitere Bücher des Autoren freuen. Denn im Kern ist er ein „Storyteller“ und möchte seine Geschichten mit so vielen Menschen wie möglich teilen und wird dafür auch weiterhin eine der ältesten Methoden nach dem gesprochenen Wort, seine Bücher, nutzen.
Geschrieben von Kim H.