Interview mit Tad Williams

Bei den Dragon Days 2013 wurde Dir der Schwäbische Lindwurm verliehen. Was bedeuten dir Festivalpreise?

Zuerst einmal bekomme ich gar nicht so viele Auszeichnungen, also freue ich mich über jede. Über diese hier bin ich besonders begeistert, weil Deutschland und Stuttgart im Besonderen sehr wichtig für mich sind. Hier sitzen meine Verleger und es ist so etwas wie mein Heimatstandort in Deutschland. Wir haben letztens noch darüber gesprochen, dass ich von Dinosauriern  fasziniert  bin und als ich das erste Mal nach Stuttgart kam, wurde gerade eine riesige Dinosaurierfigur mit einem Kran in das Museum am Löwentor gehievt. Das war also wirklich passend. Ein sehr netter Zufall.

Du scheinst ja eine richtige Verbindung zu Deutschland zu haben?

Durchaus. Eine Sache, die ich an Europa und besonders an den deutschsprachigen Ländern so liebe, ist das Gefühl, dass die Leute hier OTHERLAND wirklich verstanden haben. In den Vereinigten Staaten sind die Leser manchmal ein wenig mehr darauf programmiert, dass lesen wie Eis essen ist. Und wenn man Schokolade mag - nimmt man auch nur Schokolade.
Man probiert weder das Pistazieneis noch das mit den Himbeeren. An die traut man sich nicht heran. Aber weil ich ein Autor bin, der gerne etwas Neues versucht und sich an unterschiedliche Sachen heranwagt, werden gewisse Leute oft nicht nur ungeduldig, sondern regelrecht wütend auf mich. Ich habe schon Leute sagen hören: Ich bin erst wieder dabei, wenn Du einen weiteren Teil von TRAUMJÄGER UND GOLDPFOTE schreibst - es tut mir leid, aber ich mag die anderen Sachen die du schreibst nicht. Manchmal lesen sie nicht mal in die anderen Romane rein, weil sie ihre Entscheidung bereits getroffen haben. Aber der Erfolg von OTHERLAND hier in Deutschland ist deswegen so wunderbar für mich, weil ich das Gefühl habe, dass es das ambitionierteste Projekt ist, das ich bis jetzt gemacht habe. Ich denke, dass es ganz gut beschreibt, wie ich denke und woran ich interessiert bin. Darum wird es in gewisser Hinsicht immer eine ganz besondere Geschichte für mich bleiben.

Warum hast du mit der Bobby Dollar Reihe ausgerechnet Bücher über Engel geschrieben?

Ich denke, dass wir in einer Welt der künstlichen Zweiteilung leben, womit ich meine, dass alles in diese Gegensätzlichkeiten eingeteilt wird. Wir sollen glauben, unsere politischen Gegner wären so anders als wir, dass es sich schon fast um eine andere Spezies handelt. Oder man erzählt uns, dass sich Menschen, die eine andere religiöse Kultur haben, vollkommen von uns unterscheiden. Aber das für mich Interessanteste geschieht für mich in der Grauzone - zwischen den Fronten. Und das gilt nicht nur für das menschliche Zusammenleben, sondern auch für die Evolution, die Biologie. Es sind immer die Zwischenbereiche, in denen zwei unterschiedliche Dinge miteinander in Kontakt kommen und sich dadurch anpassen und verändern müssen. Also war einer der Aspekte, die mich faszinierten, der, dass Himmel und Hölle für die älteste Metapher eines kalten Krieges stehen, die wir in der westlichen Kultur haben - ein Konflikt, der schon andauert, seit die Welt erschaffen wurde. Es kam mir also sehr spannend vor, über einen irgendwie ganz durchschnittlichen Typen zu schreiben, bei dem es sich aber zufällig um einen Engel handelt, der in diesen Konflikt involviert ist.

Das ist erst einmal nur eine Basis.

Allerdings, aber an einem gewissen Punkt fängt man dann an, die umliegende Welt zu erschaffen und ich begann zu grübeln: Wenn dieser Typ für den Himmel arbeitet, muss ich eine Struktur erschaffen, die erklärt, wie dieses Universum funktioniert. Wenn ich ein Buch über die griechische Mythologie schreiben würde, müsste ich ja auch erklären, was Zeus tut und worin Hephaistos` Aufgabe besteht. An diesem Punkt begann ich zu überlegen, wie Himmel und Hölle funktionieren könnten, um in einem einigermaßen realistisch gehaltenen Buch Sinn zu ergeben. Denn die meisten von uns können sich wohl nicht wirklich realistisch vorstellen, was wir in der Bibel gelesen haben. So entstanden also die Engel. Meine Engel sind keine Wunscherfüller, sondern Arbeiter, die versuchen, mit den Problemen von Moral und Ethik klarzukommen.

Mir ist beim Lesen des Buches aufgefallen, dass Du Fakten, wie beispielsweise die Geschichte der Stanford-Universität und Fiktion, wie die Stadt San Judas, mischt...

Das war tatsächlich eine bewusste Entscheidung, die sehr dabei geholfen hat, die Gestalt des Buches zu formen. Mir gefällt diese Idee von einem Agenten in feindlichem Gebiet  - der nicht weiß, wem er vertrauen kann. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass ich ein Buch schreiben wollte, in dem die Hauptfigur der Erzähler ist, der mit den Lesern spricht. Ich dachte über diese dunkle Zwischenwelt nach, wo Du niemals weißt, wer auf Deiner Seite ist und wer nicht und die Hauptfigur bezüglich dessen, was richtig und was falsch ist, auf ihr eigenes Gefühl vertrauen muss. Da wurde mir klar, dass es in die Noir-Richtung geht. Raymond Chandler, Dashiell Hammett - solche Sachen. Und wenn ich diese Art von Noir-Stimmung erzeugen will, muss das Ganze in einer Stadt spielen. Denn Noir ist im Grunde urbane Literatur - es geht um Städte und die komplizierten Wege, wie Menschen am Tag das eine Leben führen und bei Nacht ein ganz anderes. Das Problem war, dass ich das Gefühl hatte, man müsste die Stadt, über die man schreiben will, sehr gut kennen. Ich habe Chandler erwähnt - er schrieb über Los Angeles. Hammett schrieb über San Francisco. Das Problem war nun, dass ich zwar in Städten gelebt hatte, wie zum Beispiel London, aber ich bin in einem Vorort der Universität von Stanford aufgewachsen und habe keine Stadt, die ich wie meine Westentasche kenne. San Francisco kommt dem noch am nächsten, aber ich weiß darüber nicht genug, um überzeugend darüber zu schreiben und des wäre ein gewaltiger Rechercheaufwand gewesen.

Also hast Du einfach eine Stadt erfunden?

Ganz genau. Ich habe mir gesagt, dass ich am besten eine Stadt erfinde, die dort liegt, wo ich aufgewachsen bin. Das war zwischen San Jose und San Francisco, also habe ich dreisterweise San Jose einfach ausgelöscht und stattdessen San Judas erschaffen. Und auch wenn sie eigentlich nach einem Heiligen benannt ist, denkt jeder, der den Namen sieht, sofort an Judas, der Jesus verraten hat. Ich dachte, dass es mit seinen düsteren Untertönen ein guter Name für eine solche Stadt ist. San Judas ist also ausgedacht, aber es basiert auf einem Ort, der wirklich existiert.

 

Tad Williams @ Dragon Days 2014
4.6. 2014 | 10 Uhr | Literaturhaus Stuttgart, Konferenzzimmer
Transmediaentwickler-Workshop mit Tad Williams (Anmeldung erforderlich!)

5.9. 2014 | 20 Uhr | Buchhandlung Hugendubel
Tad Williams liest aus dem zweiten Teil seiner Bobby Dollar Reihe HAPPY HOUR IN HELL