Interview mit Joe Abercrombie

Am Freitag hatte ich es bereits angekündigt, hier ist es nun. Kurz vor der Verleihung des Schwäbischen Lindwurms hatte ich die Gelegenheit mit Joe Abercrombie zu sprechen.

 

 

Du wirst heute mit dem Schwäbischen Lindwurm ausgezeichnet. Der erste Autor, der diesen Award gewonnen hat, war Tad Williams. Danach erhielt ihn die Augsburger Puppenkiste. Wie fühlst du dich als dritter in dieser Reihe?

Natürlich ärgert es mich sehr, dass ich nicht der Erste war. Warum sind sie nicht sofort zu mir gekommen?

Nein, es ist wirklich fantastisch. Es ist immer großartig, einen Award zu bekommen, für auszeichnungswürdig befunden zu werden. Es kommt außerdem selten vor, dass der Award an sich etwas Schönes ist. Man kriegt oft ein Stück Plastik oder Holz mit irgendeiner Art von Inschrift. Aber der Schwäbische Lindwurm ist aus massiver Bronze. Ich vermute, ich werde ein bisschen Schwierigkeiten bekommen, wenn ich morgen ins Flugzeug steige, aber er wird sich sehr gut auf meinem Schreibtisch machen.

Ich hoffe, dass meine Kinder ihn nicht kaputt machen. Oder dass er meine Kinder kaputt macht, indem er auf sie drauffällt.

 

Aber man kann ihn wahrscheinlich gut zur Verteidigung gegen Einbrecher verwenden.

Oder gegen Drachen. Wenn ein Drache mich mit seinem Feuer verbrennen will, kann ich den Award einfach schützend vor mich halten.

 

Der Schwäbische Lindwurm wird für besondere Leistungen in der Phantastik verliehen. Vor neun Jahren ist dein erstes Buch erschienen. Hast du dir damals einen solchen Erfolg vorstellen können?

Vorstellen konnte ich mir viel. Aber ich habe es ganz sicher nicht erwartet.

Überhaupt veröffentlicht zu werden, ist ja schon eine große Hürde, die man erst mal überwinden muss. Wenn man das geschafft hat, hat man erst mal das Gefühl, dass alles möglich ist. Aber dann merkt man schnell, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen wirklich erfolgreichen Autoren und Autoren, die es einfach nur geschafft habe, veröffentlicht zu werden. Selbst in Großbritannien, wo wir das Glück haben, auf Englisch zu schreiben, und einen sehr großen Markt haben für Bücher, die auf Englisch erscheinen, kann nur einer von zwanzig Autoren vom Schreiben leben. Und vielen Autoren, die davon leben können, gelingt das nur für ein paar Jahre, bevor ihre Bücher sich schlechter verkaufen.

Man hat also schon sehr viel Glück, wenn man einen Verlag hat, der mehr Bücher mit einem machen will, und Leser, die auf das nächste Buch warten. Wenn diese Leser einem dann auch noch einen Award für besondere Leistungen geben wollen, das ist wirklich unglaublich. Aber natürlich ist es großartig, wenn es passiert.

 

Da das jetzt aber geschafft ist, was kommt als Nächstes? Der Film?

Oh ja, hast du zufällig ein paar hundert Millionen Dollar dabei? Dann können wir damit gleich anfangen.

 

Leider nicht. Tut mir leid.

Schade. Na ja ... man weiß nie. Die Filmrechte zu meinen Büchern wurden schon vor einer Weile gekauft. Aber von allen wirklich erfolgreichen Büchern werden bei vielen die Filmrechte gekauft, und aus den meisten wird trotzdem nie ein Film.

Das ist ein sehr langwieriger und frustrierender Prozess. Und als Autor hat man darauf sehr wenig Einfluss.

Wenn man Bücher schreibt, liegt sehr viel in den eigenen Händen. Man hat die Kontrolle über vieles, was passiert. Bei einem Film ist man nur einer von vielen Leuten, die an der Entstehung beteiligt sind, und oft hat man ziemlich wenig zu sagen. Ich habe festgestellt, dass es das Beste ist, wenn man alles tut, was nötig ist, um ein Projekt anzustoßen, und dann einfach hoffst, dass irgendwas passiert. Aber man kann sich nicht darauf verlassen.

 

In Deutschland ist gerade dein Buch „Königsschwur“ erschienen. Du hattest es ja eigentlich als Jungendbuch geschrieben, und entsprechend wurde es in Großbritannien auch verkauft. Wusstest du, dass es in Deutschland als Buch für Erwachsene verkauft wird?

Ja, es wird in verschiedenen Ländern unterschiedlichen Kategorien zugeordnet. In Großbritannien wird es als eine Art Crossover zwischen Jugendbuch und Erwachsenenbuch verkauft. In den USA bewerben sie es als für Erwachsene. Hier ebenfalls, aber in Italien wird es ganz gezielt als Jugendbuch verkauft.

Ich denke, das hängt viel vom Verlag ab und davon, wo sie den besten Markt dafür sehen.

Jugendbuch ist eine sehr weite Kategorie mit sich ständig verschiebenden Grenzen. Es lässt sich schwer sagen, was ein Buch zu einem Jugendbuch macht. Natürlich hat man einen etwas jüngeren Protagonisten, aber davon abgesehen ... Es gibt heutzutage einige recht anstößige Inhalte in Jugendbüchern. Gleichzeitig werden einige der Bücher, die noch als Erwachsenenbücher galten, als ich jünger war, jetzt als Jugendbüchern verkauft.

Wenn „Königsschwur“ als an ein erwachsenes Publikum gerichtet beworben wird, entsteht dadurch natürlich ganz speziell das Problem, dass es Leser gibt, die meine anderen Bücher bereits kennen, und dann enttäuscht sind, wenn sie „Königsschwur“ lesen, weil es so anders ist.

 

Ja, ich habe ein paar recht entrüstete Rezensionen gelesen. Einige Leute sind nicht glücklich.

Na ja, egal was man tut, es wird immer Leute geben, die darüber nicht glücklich sind. Das ist natürlich bedauerlich, aber ich denke, man sollte schreiben, was man schreiben möchte. Und ich hoffe, es findet seinen Weg zu den Lesern, die es mögen. Ich versuche mit diesen Büchern durchaus etwas zu schreiben, das auch für erwachsene Leser funktioniert. Ich vereinfache nichts, es gibt immer noch diese moralische Komplexität, die man aus meinen Erwachsenenbüchern kennt. Daher hoffe ich, dass den meisten Lesern, die meine Bücher bisher mochten, auch diese Geschichten gefallen werden. Aber natürlich gibt es immer ein paar unzufriedene Leute. Aber die gab es bisher bei jedem Buch, das ich geschrieben habe.

 

Hast du denn aus den Ländern, in denen „Königsschwur“ als Jugendbuch verkauft wurde, Briefe von besorgten Eltern bekommen, die vielleicht ein bisschen entsetzt waren, was heutzutage so als Jugendbuch verkauft wird?

Nein, keinen einzigen. Ganz im Gegenteil, ich habe einige Briefe von Lesern bekommen, die meine Erwachsenenbücher mochten und sich freuen, dass es nun etwas von mir gibt, das sie ihren Kindern geben können.

Das freut mich sehr, denn mir geht es da ähnlich. Meine älteste Tochter ist acht, und es war unter anderem mein Ziel, ein Buch zu schreiben, das sie lesen kann.

Außerdem, jetzt da sie älter wird und immer mehr liest, habe ich mich daran erinnert, wie sehr einen Bücher prägen, die man liest, wenn man jünger ist. Das ist etwas ganz anderes als bei Büchern, die man als Erwachsener liest. Als Erwachsener ist man ein bisschen abgestumpfter, es passiert nicht mehr so oft, dass einen etwas wirklich packt. Als Kind taucht man tiefer in eine Welt ein, man begeistert sich ganz schnell für etwas. Und ich wollte etwas schreiben, das jüngere Leser auf diese Art packt.

 

Du sagst öfter, dass du angefangen hast, düstere Fantasy zu schreiben, weil dir immer dieselben heroischen Helden auf die Nerven gegangen sind. Aber was hältst du von Klischees im Allgemeinen. Versuchst du sie aktiv zu vermeiden oder benutzt du sie gerne mal?

Oh, ich versuche sie zu verwenden, wo immer ich kann. Ich denke Originalität wird stark überschätzt. Originalität ist nicht sonderlich interessant. Kritiker finden sie großartig, aber der normale Leser eher nicht. Kritiker sind sehr ernsthafte Leser und haben schon so viel gelesen, dass sie sich wohl tatsächlich nach etwas Neuem und Aufregendem sehnen. Aber die normalen Leser wollen eher das Bekannte mit einem kleinen Twist. Also, diese Dinge, die sich ganz genau einem Genre zuordnen lassen, die man sehr gut einordnen kann und mit denen man dann etwas Überraschendes tut. Sie wollen, dass man Dinge aufgreift, die schon dagewesen sind.

Ich mag beispielsweise Western und ich mag den Film „Unforgiven“. Dieser Film ist ein sehr klassischer Western, er funktioniert wie ein klassischer Western, aber er ist gleichzeitig eine Art Kommentar auf Western-Filme. Wenn man ihn in einem Absatz beschreiben muss, klingt er wie jeder andere Western auch. Aber die Art, wie er umgesetzt wurde, und die Charaktere machen ihn zu etwas vollkommen Neuem.

Natürlich könnte man dieselbe Geschichte auch im Weltraum erzählen, oder so. Aber der Film hat diesen starken Effekt, weil er all die klassischen Western-Elemente enthält.

Einer der Gründe, warum ich gerne Fantasy schreibe, ist, dass es dort sehr viele dieser klassischen Elemente gibt. Junge Helden, die zu etwas Großem ausersehen sind, alte, bärtige Mentoren und Kämpfe zwischen Gut und Böse. Aber man kann sie nehmen und sie auf seine eigene Art interpretieren.

Warum sollte man sich etwas vollkommen Neues ausdenken, wenn es schon so viele sehr gute Ideen gibt?

 

Mir ist aufgefallen, dass man in deinen Bücher sehr auf die Details achten muss. Da sind zum Beispiel die Tauben in „Königsschwur“, die ständig Stücke von Sätzen wiederholen, die sie früher mal auswendig gelernt haben, und das alles ist etwas unheimlich, aber erst mal denkt man, es ist nur dafür da, um ein bisschen Atmosphäre zu schaffen. Bis zum Ende, wo der Adler einen Satz wiederholt und damit einen unglaublich wichtigen Hinweis gibt, wer tatsächlich für den Tod von Yarvis Vater und Bruder verantwortlich ist.

Wann im Schreibprozess fügst du solche Details ein? Weißt du von Anfang an, dass sie drin sein müssen, oder fügst du sie später hinzu?

Das kommt darauf an. Manchmal habe ich plötzlich eine Idee, während ich schreibe, manchmal habe ich solche Ideen in der Planungsphase schon im Hinterkopf. Oft betreibe ich sehr viel Recherche. Für „Königsschwur“ habe ich viele Bücher über Wikinger gelesen. Und manchmal kommen mir beim Recherchieren Ideen.

Wenn die erste Rohversion fertig ist, mache ich außerdem mehrere Überarbeitungsdurchgänge. Ich gehe den Roman unter verschiedenen Gesichtspunkten noch einmal durch. Zuerst konzentriere ich mich auf die Hauptcharaktere, achte darauf, dass jeder seine eigene Stimme hat, dass die Charakterentwicklung richtig funktioniert und gut herausgearbeitet ist. Im nächsten Überarbeitungsdurchgang nehme ich mir dann die Nebencharaktere vor und versuche deren Persönlichkeit möglichst gut herauszuarbeiten. Ich versuche ihnen Eigenheiten zu geben, die etwas über ihre Persönlichkeit aussagen. In dieser Phase füge ich vor allem Details hinzu, die die Perspektivträger lebendiger machen.

Aber danach kommt ein weiterer Durchgang, in dem ich vor allem auf das Setting achte. Ich überlege mir, zu welcher Tageszeit jede Szene stattfindet. Oder ich schaue, ob es in einem Raum etwas gibt, worüber sich die Charaktere unterhalten können, was dann wiederum ihre Beziehung zueinander genauer definiert.

Wenn es zum Beispiel ein windiger Tag ist und die Sonne hängt dicht über dem Horizont, dann überlege ich, ob das einen der Charaktere an etwas erinnert. Hat er an einem ähnlichen Tag mal etwas Wichtiges erlebt? Erwähnt er das den anderen Charakteren gegenüber?

Eine Welt zu erschaffen, bedeutet für mich, jeder Szene ein Detail zu geben, das sie etwas plastischer macht. Es ist mir wichtig, dass das Setting, die Charaktere und die Beziehungen zwischen den Charakteren eine Einheit bilden.

 

Deine Bücher sind ja bekanntermaßen relativ düster. Den Charakteren stoßen oft wirklich fiese Dinge zu. Es gibt Autoren, die sich schlecht fühlen, wenn sie ihren Charakteren etwas Unschönes antun müssen. Geht es dir auch manchmal so?

Nein. Eigentlich nicht.

 

Macht es dir Spaß?

Na ja ... also nicht auf irgendeine sadistische Art und Weise.

Für mich ist ein Charakter einfach ein Werkzeug, mit dem ich versuche, den Leser emotional zu erreichen. Wenn mir also eine Szene gut gelingt, in der einem Charakter etwas Unschönes zustößt, und ich habe das Gefühl, das kommt wirklich gut rüber, hat die gewünschte Wirkung, dann bin ich stolz auf diese Szene. Wenn zum Beispiel ein Charakter stirbt, dann freue ich mich, wenn das eine große Wirkung auf andere Charaktere hat und wenn ich das Gefühl habe, dass es die Geschichte bereichert und dass es den Leser nicht kalt lassen wird.

Ich sehe eine Geschichte, die ich schreibe, ganz anders als eine, die ich lese. Wenn ich schreibe, dann habe ich alles meistens weit im Voraus geplant. Ich habe also schon eine ganze Weile über den Tod eines Charakters nachgedacht, bevor ich ihn schreibe. Oder generell über einen wichtiges, unerfreuliches Ereignis. Ich habe den ganzen Roman durch darauf hingearbeitet und versuche der Szene eine so durchschlagende Wirkung wie möglich zu geben.

Und wenn ich die Szene dann schreibe, dann schreibe ich zuerst eine Rohfassung, gehe später noch mal drüber und noch mal. Deshalb existiert das Emotionale, der Schock, für mich nicht. Es geht nur darum, die Szene so gut hinzubekommen wie möglich.

Ich erfreue mich also natürlich an einer gut gelungenen Szene. Aber wenn ich einem Charakter etwas Unschönes antue, dann geht es mir nur darum, was das für die Geschichte bedeutet.

Wenn ein Tischler bei der Arbeit einen Hammer zerbricht, fühlt er sich ja auch nicht schlecht. Er besorgt sich einfach einen neuen. Und so sehe ich Charaktere. Sie sind keine echten Menschen. Ich habe sie mir ausgedacht.

 

Wenn du über deine Zukunft als Autor nachdenkst, wo siehst du dich dann? Willst du für den Rest deiner Karriere düstere Fantasy schreiben, also im „Grimdark“-Genre bleiben, wie das ja inzwischen benannt wurde? Oder würdest du auch mal etwas ganz anderes schreiben wollen?

Wer weiß schon, was „Grimdark“ wirklich ist. Es ist ziemlich schwer zu definieren. Für mich ist es mehr eine Ästhetik als ein Genre. Natürlich könnte ich Fantasy schreiben, die nicht so düster ist, und einige meiner Bücher sind düsterer als andere. Oder nur in mancherlei Hinsicht düster und in anderer nicht.

Ich habe damit angefangen, diese düsteren, realistischeren Romane zu schreiben, weil Fantasy so schrecklich heroisch war. Ich hatte das Gefühl, am anderen Ende der Skala mehr meine Nische finden zu können. Es schien mir eine Gelegenheit zu sein, die Leser zu überraschen, sie zum Nachdenken anzuregen, weil es noch nicht viel in der Richtung gab. Inzwischen gibt es allerdings einige ähnliche Romane. „Game of Thrones“ ist ein großer Erfolg, also kennt inzwischen jeder diese düstere, zynische Fantasy. Ich will nicht unbedingt dafür bekannt sein, nur Düsteres zu schreiben. Ich denke, es ist wichtig, zu zeigen, dass es auf beiden Seiten Licht und Schatten gibt. Es könnte also durchaus sein, dass ich Bücher schreibe, die nicht ganz so düster sind. „Königsschwur“ geht ja schon ein bisschen in diese Richtung. Ich denke, es ist nur eine Frage der richtigen Idee und des richtigen Projekts.

Es ist allerdings auch schwierig, wenn man dafür bekannt ist, etwas Bestimmtes zu machen, plötzlich zu etwas ganz anderem zu wechseln. Wir haben ja darüber geredet, wie die Reaktionen auf „Königsschwur“ waren. Wenn ich plötzlich einen Liebesroman schreiben würde, stell dir vor, was dann los wäre. Oder auch wenn es nur ein Thriller wäre. Die Leute wüssten nicht, was sie damit anfangen sollen.

Jeder Schritt ist bei so etwas schwierig. Es ist schwierig, den Agenten zu überzeugen, dass man etwas anderes machen möchte. Es ist für den Agenten schwierig, den Verlag davon zu überzeugen, der eigentlich am liebsten noch genau so ein Buch wie das letzte haben würde. Und es ist für den Verlag schwierig, dieses Buch dann den Lesern zu verkaufen.

Dazu kommt noch, dass die Menge der Bücher, die man verkauft, natürlich eine wichtige Messlatte für den eigenen Erfolg darstellt. Man will natürlich etwas schreiben, auf das man stolz ist, aber man kann nicht einfach vergessen, dass es auch darum geht, Bücher zu verkaufen. Es ist nicht ganz einfach, sich auf ein Projekt einzulassen, von dem man schon von vorneherein weiß, dass es sich nicht so gut verkaufen wird wie die vorhergegangenen Bücher. Man will immer ein noch größeres Publikum erreichen, mit jedem Buch erfolgreicher werden.

Es gibt also viele Gründe, warum ich bei der Fantasy bleiben werde. Fantasy ist außerdem ziemlich vielfältig. Man kann in dem Genre alle möglichen unterschiedlichen Geschichten schreiben. Also, ich sehe mich nicht so schnell Abschied von der Fantasy nehmen. Aber man weiß nie, was sich ergibt.

 

Danke.

 

Von Andrea Bottlinger