Irgendwie menschlich

Am Ende bricht alles zusammen. Die riesige Festung der Orks hält der Druckwelle des einstürzenden Schicksalsberges nicht stand. Die Orks rennen währenddessen um ihr Leben. Versuchen, den herabstürzenden Steinplatten auszuweichen und grunzen so verzweifelt, dass es sich anhört, als würde jemand eine Horde Schweine über die Mattscheibe jagen. Dann bricht der Erdboden auf und verschluckt die Geschöpfe Tolkiens. Eigentlich ein trauriger Anblick. Nur wird das Ende von „Der Herr der Ringe“ mit so heroischer Musik untermalt, dass kein Kinobesucher auf die Idee kommt, den toten Orks hinterher zu weinen.


Warum auch? Die Orks machten den Menschen, Elben und Zwergen in Mittelerde nicht nur das Leben schwer, sondern nahmen es ihnen auch. Im dritten Teil der Trilogie verschwand zudem jegliche Individualität der Orks, die in den vorangegangen Büchern zwar brutal, jedoch auch auf ihre eigene Weise humorvoll waren. Sie verschmolzen zu einer anonymen und mordenden Heeresmacht. Mit ihren Schlitzaugen, platten Nasen und ihrer gebückten Haltung sahen sie aus, als hätten sie eine jahrzehntelange Boxkarriere hinter sich. Mit ihren Reisszähnen konnten sie innerhalb von Sekunden Leben auslöschen. Der Inbegriff des Bösen.


Sympathie gab es von Lesern und Kinobesuchern am Ende deswegen nur für die Helden der Geschichte. Für die Tapferen, die das Böse bekämpften. Aber, man muss nicht unbedingt ein Held sein, um zu begeistern. Anders könnte man auch gar nicht erklären, warum Orks in den vergangenen Jahren so viel Beachtung in Büchern, Filmen und sogar in Computerspielen fanden. Sicher, Orks müssen immer noch für das Böse herhalten. Es gibt kaum Geschichten, in denen Orks nicht verachtet und gefürchtet werden. Aber sie sind oft nahbarer und individueller. Vielen Schöpfern dient Tolkiens Vorstellung aus den beiden ersten Teilen der Trilogie dabei als Grundlage, anhand derer sie die Orks weiterentwickeln.

 
Dafür reicht ein Blick in die Onlinewelt. In dem populären Computerspiel „World of Warcraft“ konnten die Nutzer sowohl gegen die bösartigen Orks kämpfen, als auch die Rolle des bösen Widersachers annehmen. Orks wurden für viele Spieler zum täglichen Begleiter. Sie verbrachten Stunden mit ihm, stärkten ihn in Kämpfen und beschäftigten sich mit seiner Umwelt. Ziel war nun den Ork am Leben zu erhalten, statt ihn zu töten.


Weiter geht da nur noch das Brettstrategiespiel „Warhammer 40K“. Auch hier werden die Orks zwar immer noch als kriegerische Spezies bezeichnet, deren Lieblings- beschäftigungen Wettkämpfe und Krieg sind, was allerdings nur ihr inneres Bedürfnis nach Expansion und Überleben befriedigt. Deswegen dürfe man sie, laut Spielern, nicht als generell bösartig bezeichnen. Die Vorstellung reicht hierbei sogar so weit, dass sie Teil eines Stammes sind, der sich wiederum in kleinere Familien und Haushalte aufspaltet. Die Orks als fürsorgliche Geschöpfe. Die Erkenntnis, dass die kriegerischen Orks zu Hause von ihrer Familie erwartet werden, hätte im Kino während des letzten Teils von „Der Herr der Ringe“ wohl einige Verwirrung ausgelöst.


Aber genau diesen Weg schlägt Fantasy-Autor Michael Peinkofer ein, der am Freitagabend bei den „Dragon Days“ eine Lesung hält. Orks sind seiner Meinung nach zwar eigensinnig und stur, können aber trotzdem Witze reißen, sich sorgen und Beziehungen aufbauen. Auch wenn sie diese Dinge nicht gerade gerne zugeben. So denke er die Version der humorvollen, individuellen Orks von Tolkien konsequent weiter, meint Peinkofer. Seine Orks wecken unser Mitgefühl, ihr Schicksal ist dem Leser nicht egal. Durch Peinkofer sind die Orks menschlicher geworden, als Tolkien selbst es wahrscheinlich jemals für möglich gehalten hätte.

Michael Peinkofer @ Dragon Days 2015
19. Juni | 20.00 Uhr | Museum am Löwentor

Von Alexander Mühlbach und Hannah Vogel