Tad Williams

OTHERLAND – Interview mit Tad Williams

2013 zeichnet das DRAGON DAYS Festival Tad Williams für OTHERLAND mit dem SCHWÄBISCHEN LINDWURM für "herausragende Leistungen in der Fantastik" aus. Im Interview berichtet er über die Entstehung seiner Cyberpunk-Romanreihe.

 

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das dazu geführt hat, dass Du begonnen hast OTHERLAND zu schreiben?

Wenn mich jemand fragt welche Ereignisse mich in Bezug auf Otherland direkt inspiriert haben, erzähle ich häufig diese Geschichte: Es war eine Kombination aus einer Lesung und einer Bootsfahrt. Und zwar war ich auf einer Lesung, wo ein Schriftsteller interviewt wurde und er sprach über Flüsse als Metapher – also dachte ich, ich kreiere einen Fluss der im wahrsten Sinne des Wortes metaphorisch ist. Und dann war da noch diese unendlich großartige und überweltliche Erfahrung, die ich als kleines Kind auf einer „Märchen-Bootsfahrt“ in Disneyland gemacht habe. Aber ich schätze, der Hauptbeweggrund entstand durch die Fusion meiner Gedanken. Nämlich dass ich die Ufer meines metaphorischen, virtuellen Flusses mit buchstäblich allem auskleiden konnte was mir so in den Sinn kam – historische Stätten, berühmte Kindermärchen, oder einfach nur mit verrückten noch-nie-dagewesenen Einfällen von irgendwelchen Menschen. Der Gedanke, dass ich all diese Welten erschaffen und mit ihnen tun und lassen konnte was ich wollte – ließ mich: vor Freude in meine kleinen rosa Hände klatschen; UND meine kleinen rosa Hacken auf dem Teppich tanzen; UND mich „Hurra!“ schreien.

 

In welchem Jahr hast Du „Stadt der goldenen Schatten“ geschrieben und wie lange hat es gedauert es zu schreiben?

Da musste ich erst mal selbst nachgucken. Zum ersten Mal ist es 1996 erschienen. Also muss ich damit 1994 angefangen haben, vielleicht auch Ende 1993. Das Schreiben hat mich sicherlich fast zwei Jahre gekostet. Vor allem weil wir zu der Zeit von England nach Amerika
gezogen sind, was ein wenig ablenkend war. Außerdem hatte ich noch nie zuvor so viel Recherche in ein Buch gesteckt (die Otherland Bücher werde ich recherchetechnisch und umfangmäßig wohlmöglich nie mehr toppen). Der erste Band war besonders heftig, da ich
erst mal all das ganze Hauptzeugs rausfinden musste, bevor ich mit dem Schreiben anfangen konnte.

 

Bei deinem letzten Besuch in Stuttgart, hast du erzählt, dass du für deine Bücher sehr viel recherchierst. Wie hoch war der Rechercheaufwand für OTHERLAND und was war das beeindruckteste, dass du herausgefunden hast?

Wie in der Antwort oben erwähnt, habe ich SEHR viel Recherche in Otherland gesteckt. Für jedes der Kapitel habe ich mindestens ein Buch gelesen plus unzählige andere Quellen gewälzt — Zeitungen, Magazine, usw. Zu der Zeit war das Internet noch kein ernstzunehmendes Rechercheinstrument, aber das habe ich auch benutzt. Ich habe keine Ahnung was das Merkwürdigste oder Interessanteste war, auf das ich bei meiner Recherche gestoßen bin. Aber ich weiß noch, dass mich die Kultur der afrikanischen Buschmänner sehr berührt hat („Buschmänner“ ist eine sehr unangemessene Bezeichnung, aber leider
der umgangssprachlich meist gebrauchte und verständliche). Die Art wie sie leben, ihre Lebensauffassung und an was sie glauben hat mich nachhaltig verändert. Aber für mich ist Otherland voll mit solchen Eindrücken und Effekten. Ich bin immer noch unendlich glücklich
darüber, dass ich mich durch Berge an wertvoller Information
lesen durfte und gleichzeitig anderen Menschen sagen konnte: Ich bin am „arbeiten“!

 

Einer der Gründe weshalb Du OTHERLAND geschrieben hast war, das es damals die Technologie für eine virtuelle Welt noch nicht gab. Verfolgst Du die technischen Entwicklungen im Bereich Virtual Reality? Wie weit sind wir deiner Meinung nach noch von der Otherland Welt entfernt?

Über die Jahre ist es sowas wie ein Spiel geworden, dass meine Leser mir Geschichten zusenden wie: ”Hey, wir sind SOOO nah dran an Otherland!“. Zum Beispiel wie Milliardäre mit der Unsterblichkeit rumexperimentieren lassen und ähnlich andere Dinge die in meinen
Büchern vorkommen. Oder eine Sache, die mich besonders geflasht hat, ist die Sache mit dem „Pad“. Zuerst sah es ja danach aus, als würde die Abkürzung PDA für „persönlicher digitaler Assistent“ in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen — aber schließendlich
hat sich der Begriff Pad aus meinen Büchern durchgesetzt und wird jetzt überall benutzt (während die Abkürzung PDA unbeachtet abgesoffen ist). Und ich so: Yeah! Wieder gewonnen! Das einzige, wo ich mich völlig verschätzt habe, ist die Geschwindigkeit in der die Dinge passieren. Ich habe Otherland Mitte bis Ende dieses Jahrhunderts stattfinden lassen. Aber einige der technischen Neuerungen über die ich im Buch spreche, finden grade statt oder werden bald stattfinden. Trotzallem finde ich: Für einen Nicht-Wissenschaftler und für einen Schriftsteller, den man gerne in das „soft“ Genre Fantasy Ecke steckt, ist das gar nicht schlecht.

 

2005 hast Du in einem Interview mit dem Spiegel gesagt, dass Du gerne eine Online-Rollenspiel-Welt, mit ihren eigenen Geschichten, die wachsen und sich entwikkeln, schaffen würdest. Inzwischen hast du am OTHERLAND Massive Mulitplayer Online Game mitgewirkt, das hoffentlich irgendwann noch erscheinen wird. War die Arbeit an dem Spiel so wie Du sie dir vorgestellt hast?

In vielen Bereichen sogar besser! Ich kann nicht warten bis es endlich fertig ist, damit ich es spielen, oder vielleicht dorthin auswandern kann um dort zu leben — so wie einer meiner Otherland Milliardäre. Als ich in den späten Achtzigerjahren für Apple Computer gearbeitet habe, habe ich einige Jahre damit verbracht einiges über interaktive Medien zu lernen. Als ich mit der Recherche zu „City of Golden Shadow“ anfing, bin ich wieder dorthin zurückgekehrt und konnte damit weitermachen. Und so konnte ich mich sorgfältig vorbereiten - und bin es immer noch. Die Zukunft kann kommen!

 

Im OTHERLAND Hörspiel haben 250 Sprecher mitgearbeitet. Du sollst auch eine Person gesprochen haben. Welche war das? Wie hat Dir die Umsetzung deines Buchs in die größte Hörspiel-Produktion der Radiogeschichte gefallen?

Es überrascht mich, dass das hier nicht allgemein bekannt ist. Vielleicht liegt es daran, dass mein Deutsch nicht besonders gut ist und früher noch viel schlechter war. Ich habe meine Stimme der Figur des Todes geliehen (jedenfalls hat Felix Jongleur es so betitelt). Das ist die Stelle im Buch, wo der sehr alte und furchtbar böse Mann endlich stirbt. Das ist zwar nur eine Zeile, aber eine sehr gute.

 

Wie teilst Du dir die Zeit ein, um alle deine Projekte zu realisieren? Kannst du parallel an zwei unterschiedlichen Büchern schreiben?

Ich kann zwar an mehreren Dingen gleichzeitig arbeiten, aber lieber tue ich das nicht. Am besten arbeite ich, wenn ich ein einzelnes Projekt vor mir liegen habe – und nur das eine. Obwohl ich auch gut darin bin simultan zu meiner Schreibarbeit andere Projekte zu planen. Ich denke, dass die meisten Menschen auf diese Weise am besten arbeiten. Aber wir leben mittlerweile in einer Welt, in der man sich fast verpflichtet fühlt zu multitasken. Ein Grund warum ich die Arbeit an meiner neuen Buchserie BOBBY DOLLAR so sehr mag ist, dass sich die Bücher viel schneller schreiben lassen als die epischen Romane. Dies schafft mehr Zeit für andere Dinge wie, ziemlich bald, für neue große epische Romane, und vielleicht eine
Rückkehr zu meinen früheren Welten und Werken. Ich würde gerne jedes Jahr ein Bobby Dollar Buch schreiben und die extra Zeit dafür verwenden alle zwei Jahre etwas Episches rauszubringen. Das hieße: in einem Jahr zwei Bücher — im darauffolgenden Jahr eins. Das wär ziemlich cool.

 

Mein Lieblingszitat von Dir ist. „Ehrgeiz ist wie Tinkerbell: wenn man aufhört, daran zu glauben, stirbt er. „ Welche ehrgeizigen Ziele hast Du noch für die Zukunft?

Meine ehrgeizigsten Ziele: So lange ich Erdenluft atme möchte ich Geschichten erfinden die Menschen unterhalten (und gelegentlich zum Nachdenken anregen). Außerdem noch viele Abenteuer zu durchleben und der beste Tad Williams zu sein, der ich sein kann. Und auf keinen, keinen, keinen Fall je auch nur ein wenig älter zu werden. Ups! Das hat ja schon mal seit Beginn des Interviews nicht funktioniert. Na gut, als Ersatz dafür: auf keinen, keinen, keinen Fall in Würde zu altern.

 

Tad Williams
Preisverleihung, Gespräch, Lesung, Total AR Präsentation
Donnerstag, 11. Juli 2013, 20.00 Uhr
Tad Williams, Benjamin Rudolph
Ort: Großer Saal

 

Die dunklen Gassen des Himmels
Lesung
Freitag, 12. Juli 2013, 20.00 Uhr
Tad Williams
Ort: Außer Haus! Buchhandlung Hugendubel Stuttgart