Alex Jahnke im Interview

Alex Jahnke, geboren 1969, lebt in der Nähe von Marburg, hat Physik studiert und arbeitet hauptberuflich als System-Administrator. Nebenberuflich betätigt er sich als Autor und Game Designer. Er ist Steampunker der ersten Stunde und betreibt seit 2008 das bekannteste deutsche Steampunk-Magazin Clockworker.de.
In seiner Freizeit läuft er durch den Wald, betätigt sich in alten Kampfkünsten und versucht in einem fortlaufende Experiment zu beweisen, dass Bücher sich nicht von vorhandenem Regalplatz beschränken lassen.

Wie würden sie Steampunk definieren?
Ganz kurz: „Abenteuer, Romantik, Wissenschaft“
Etwas länger: Steampunk zu definieren fällt mir schwer, da sich das Genre seit Jahren immer weiter entwickelt und neue Bereiche für sich entdeckt. Im Kern steckt die Idee, wie sich die Welt entwickelt hätte, wenn Dampf niemals als treibende Kraft der Maschinen abgelöst worden wäre. Wenn die Ästhetik und Gesellschaft des 19. Jahrhunderts sich weiterentwickelt hätte. Dieses „Was wäre wenn“ beschränkt sich aber nicht nur auf die Literatur, sondern erforscht auch auf Mode, Musik und unsere heutige Technik. Selbst der zeitliche Rahmen kann unter dem Begriff Steampunk sehr weit gefasst werden und hat seine Untersparten definiert: Clockpunk - ein rein mechanisches Weltbild mit Federn und Unruhen, Dieselpunk - die Zeit der 30er und 40er Jahre, bis hin zum Atom-Punk der 50er und 60er Jahre. Diese zeitlichen Epochen unterscheiden sich sehr, haben hier aber auch den Steampunk-Gedanken: Was wäre, wenn...

Wodurch haben Sie Steampunk für sich entdeckt?
Aufmerksam geworden bin ich auf das Genre ca. 2006 durch Beiträge in amerikanischen Blogs und Foren. Die ersten Bastler stellten ihre Projekte einer breiteren Öffentlichkeit vor und die Mischung aus viktorianischer Ästhetik gepaart mit modernen Technik und Wissenschaft hatte voll meinen Nerv getroffen. Ich fing an, das Genre gezielter zu recherchieren, diskutierte im englischsprachigen Raum mit, las die Literatur und begann irgendwann auch mit meinem ersten Umbau (ein Laptop). Im Jahr 2008 wurde dann das deutschsprachige Blog Clockworker ins Leben gerufen, bald darauf fanden sich die ersten deutschen Steampunker zusammen und belebten die Subkultur auch hier.

Welche fünf Bücher und fünf Filme würden Sie Interessierten empfehlen um Steampunk kennen zu lernen?

Neil Stephenson - The Diamond Age (dt. Diamond Age - Die Grenzwelt)

Als erstes natürlich eines meiner Lieblingsbücher. Stephenson versetzt den Leser nicht in die Vergangenheit oder Parallelwelt, sondern einige Jahrzehnte in die Zukunft. Die viktorianische Gesellschaft hat sich hier als Gegenentwurf zur modernen Gesellschaft entwickelt, nutzt aber dennoch alle technischen Möglichkeiten. Sie ist sogar der Motor des Fortschritts. Die Begründung für diese Entwicklung ist verblüffend aktuell: „In einer Zeit, in der man alles überwachen kann, bleibt uns nichts anderes als die Höflichkeit.“

Cherie Priest - Boneshaker (dt. Boneshaker)

Priests Roman gehört zu den ersten Steampunk-Romanen der neuen Welle und hebt sich angenehm vom Rest ab. Anstatt eine edle und saubere Adelsgesellschaft des viktorianischen Englands als Grundlage zu nehmen, beschreibt sie das Arbeiterleben im schmutzigen Seattle, dass von einer Katastrophe heimgesucht wurde. Eine Mutter sucht ihren Sohn, der mehr über seine Wurzeln wissen will.

Scott Westerfeld - Leviathan (dt. Leviathan - Die geheime Mission)

Obwohl es als „Jugendbuch“ gehandelt wird, lässt sich der Roman in jedem Alter lesen und verliert nichts an seiner Faszination. Westerfeld erzählt eine alternative Version des 1. Weltkrieges in dem nach dem Attentat von Sarejevo, ein überlebender Thronfolger auf der Flucht durch Europa ist. Dabei hat sich das europäische Machtgefüge in zwei Allianzen aufgeteilt: Die „Clanker“, die mittels mächtiger Maschinen nach der Macht greifen und die „Darwians“, die die Biotechnologie perfektioniert haben und sich Tiere nach ihren Anforderungen erschaffen (wie zum Beispiel fliegende Wale als Zeppelin). Begleitet wird das Buch durch die wundervollen Illustration von Keith Thompson.

William Gibson & Bruce Sterling -  Difference Engine (dt.: Die Differenzmaschine)

Ein Steampunk-Roman, der zu seiner Veröffentlichung noch gar keiner war. Die beiden großen Cyberpunk-Autoren Gibson und Sterling erzählen die Geschichte des ersten Computers von Charles Babage (1830). In der Realität wurde er nur geplant und nie gebaut. In the Difference Engine erwacht er zum Leben und verändert die Welt.

Gail Cairriger - Soulless (dt.: Glühende Dunkelheit)

Zum Abschluss ein Roman, der für die pure Leichtigkeit und Unterhaltung des Genres steht. In Cairrigers Welt gibt es nicht nur fantastische Maschinen, sondern auch Werwölfe, Vampire und andere Mythengestalten in der normalen Gesellschaft. Ihre Heldin versucht mit viel Witz, Humor und Intelligenz ihren Weg zu gehen und ein Geheimnis zu lösen. Dabei hebt sich von den typischen Heldinnen anderer Unterhaltungsromane ab.


Aus Steampunk als literarische Gattung hat sich eine Subkultur entwickelt. Fans schneidern sich selbst Steampunk-Mode und tragen sie. Was treibt diese Menschen an und warum hat sich diese Bewegung in anderen Gattungen, wie dem Cyberpunk, nicht durchgesetzt?
Die Motivation ist wahrscheinlich so individuell, wie Menschen selber. Die Faszination einer anderen Welt, das „Anderssein“, die Liebe zur viktorianischen Gesellschaft, der Spaß am „Selber machen“ oder die Suche nach einer utopischen, besseren Welt. Ansätze einer gelebten „Cyberpunk-Kultur“ hat es auch gegeben, sie konnte sich aber nie durchsetzen, denn dazu fehlte es aus meiner Sicht an zwei Dingen:
Cyberpunk ist eine rein literarische Bewegung, der die Einflüsse aus anderen Subkulturen fehlen. Dadurch konnte es keine inspirierende Mischung eigentlich völlig gegensätzlicher Komponenten geben. Insbesondere sind beim Cyberpunk aber technische Errungenschaften zentral, die es (noch) nicht gibt. Eine Kontaktlinse mag aussehen wie ein Cyberauge, hat aber dann doch nicht die Nachtsicht. Im Steampunk werden vorhandene Geräte umgebaut, sind nutzbar und verbinden Ästhetik mit Technik. Wir wissen recht genau, wie die viktorianische Gesellschaft ausgesehen hat und können ihre Tugenden in unsere heutige Zeit übertragen. Dadurch kann diese Subkultur wirklich gelebt werden, bei Cyberpunk kann man nur vermuten.


Neben der Mode gibt es auch das „Maker Movement“, bei dem Künstler Steampunk-Objekte schaffen. Was wird dabei verknüpft? Wo ist diese Bewegung entstanden? Wie sehen diese Objekte aus?
Der Ursprung der Maker-Bewegung in den USA ist schwer auszumachen. Es ist eine Mischung aus angewandter Kunst, Do-it-yourself und Hacker-Philosophie, die viel mehr umfasst als Steampunk. Man wollte sich nicht mehr damit zufrieden geben, dass man ein gekauftes Gerät nicht öffnen darf, sondern wissen, wie es funktioniert und gegebenenfalls reparieren oder verbessern. Dabei ist der Grundgedanke, dass man seine Umwelt verstehen sollte und nicht nur benutzen. Das Themenspektrum geht dabei vom eigenen Brot backen, bis hin zur elektronischen Schaltung löten. Während das deutsche Wort „Heimwerken“ immer noch den Hauch von Gartenzwerg und Kleingarten hat, ist Make eine sehr moderne Philosophie, die vor nichts halt macht. Die geschaffenen Objekte sind dabei ebenso unterschiedlich wie ihr Zweck. Es kann eine einfache Kunststoffkiste sein, die alle heimischen Ladegeräte in einer praktischen Form sammelt, bis hin zur Hausbar in Form von R2D2 mit Innenbeleuchtung.
Die Make-Bewegung und die Steampunk-Kultur haben sich irgendwann um 2005 gemischt und Steampunk zu dem gemacht, was wir heute kennen.

 

Schwerpunkt Steampunk

Magierdämmerung, Steam Noir & Steampunk Panel

Sonntag, 8. Juli, 16.00 – 19.00 Uhr

Eintritt: € 9,-/7,-/4,50

Ort: Großer Saal